Realitätscheck: Wo stehen wir grade?
Vielleicht könnt Ihr Euch noch an Eure Großeltern erinnern und an die Art und Weise, wie sie gelebt haben/leben?Lebensmittel wurden wahrscheinlich kaum weggeworfen, Geschenkpapier sorgsam auseinander gefaltet und wiedergenutzt. Anstatt Alufolie zu verwenden und diese direkt zu entsorgen, wurde oft ein Teller über eine Schüssel mitLebensmittel gestellt. Socken wurden gestopft und aus alten Stoffresten wurden z.B. eine Decke genäht.
Mit steigendem Wohlstand auf der Welt und einer immer größeren Menge an Produkten, die tagtäglich auf den Marktschwemmen, hat sich die Art und Weise unseres Lebens und Wirtschaftens immer mehr verändert. Heutzutage konsumieren wir, und damit meinen wir zum Großteil die Nordhalbkugel, linear. Das bedeutet ein Produkt wird hergestellt -> verkauft -> genutzt und -> irgendwann wieder entsorgt.
Diese Art des Wirtschaftens kann sich nur eine gut gesättigte Wirtschaft (und kriegsfreie Gesellschaft) erlauben, da sonst jede Ressource, jeder Stoff, jedes Produkt viel zu wertvoll wäre, als dass man es einfach verbrennt, vergräbt oder vor sich hin verrotten lässt. In unterversorgten Gesellschaften wird z.B. aus vermeintlichem Müll oft noch Vieles gezaubert.Spielzeug, Häuser oder auch neue Kleidung. Weggeworfen werden wirklich nur die Dinge, die nicht mehr genutzt werden können, weil sie biologisch abbaubar sind und buchstäblich zerfallen. Auf diese Art und Weise hat die Menschheit auch im globalen Norden viele Jahrtausende gelebt und gewirtschaftet. Es wurde in Kreisläufen gedacht - nichts kam wirklich weg, wurde verbrannt oder auf Deponien geschüttet. Doch dazu später mehr. Zunächst einmal zur Frage, wie wir denn überhaupt zur Wegwerfgesellschaft gekommen sind, wenn das eigentlich nie der Standard war?
Wie ist es dazu gekommen?
Bereits seit der industriellen Revolution ist das weltweite Wirtschaftssystem linear aufgebaut worden: MenschlicheLebensstile wurden dadurch immer mehr auf den Konsum und einmalige Nutzung von Gütern ausgerichtet, woraus sich die Abfolge der Entnahme, Herstellung, Entsorgung in den Lieferketten ergab. Das dahinterstehende Fertigungsmodell wurde somit von Anfang an in eine Richtung gelenkt: Natürliche Ressourcen dienen als Fertigungseinsatz, der so dann für die Herstellung von Massenware genutzt wird, die gekauft und oftmals nach einmaligem Gebrauch entsorgt wird.
Dieses lineare Wirtschaftsmodell der Massenproduktion und des Massenkonsums ist in den letzten 70 Jahren, nach Ende des zweiten Weltkrieg, immer stärker gewachsen. Brachte man in den 60ern noch selbstverständlich seinen Einkaufskorb mit, nahm man auf einmal bei jedem Einkauf eine neue Plastiktüte mit nachhause. Mit der Milchkanne wurde noch in derJugend meiner Mutter die Milch geholt, heute ist diese schon in Tüten, also Einwegmüll, abgefüllt. Wenn ein Produkt wie eine Waschmaschine kaputt ging, ließ man den Techniker kommen (Im Fall eines Defekts entscheiden sich heute 78 %gegen eine Reparatur ihrer Elektrogeräte) und bei einem Loch im Socken, wurde dieser natürlich gestopft. Heutzutage, Ihr ahnt es schon, schmeißt man diese Gegenstände einfach weg, weil es günstiger und auch einfach bequemer ist, lieber das gleiche nochmal neu zu kaufen.
Der Hintergrund dazu ist eine vernetzte, globalisierte Welt, in der Rohstoffe immer leichter zugänglich und auch immer günstiger wurden (Besonders auch der Rohstoff Öl, aus dem viele dieser Billigplastikprodukte gemacht sind). Kombiniert mit dem starken Wirtschaftswachstum und dem Auslagern der „günstigeren“ Produktion nach FernOst, wurden Waren auch immer günstiger bei gleichzeitigem Wohlstandsanstieg. Die Folge war immer mehr und mehr Konsum, weil „man es sich leisten konnte“. Auf einmal konnte jeder ein Auto fahren, jeder mehrere paar Schuhe besitzen, jeder ein Haus bauen, jeder in den Urlaub fliegen und nicht mehr nur eine ausgewählte Gruppe von Menschen. Dieser Nachfrageschub kurbelte natürlich wiederum die Produktion umso mehr an...So schwemmten mehr und mehr Produkte auf den Markt.
Diese Art zu denken und zu konsumieren hat einen ganz großen Teil dazu beigetragen, dass wir als Welt da stehen, wo wir gerade sind. 50% der gesamten Treibhausgasemissionen (zum Vergleich: der internationale Flugverkehr liegt bei2,8%) und mehr als 90 % des Verlusts an biologischer Vielfalt sowie Wasserknappheit sind auf die Gewinnung vonRessourcen und deren Verarbeitung zurückzuführen. In Deutschland ist die Nutzung von Rohstoffen seit Jahrzehnten sehr hoch: Der Rohstoffverbrauch war im Jahr 2017 mit 22,8 t pro Einwohner (berechnet aus UNEP 2018 und Daten zurBevölkerung, Statistisches Bundesamt 2020) fast doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt von 12,2 t proEinwohner und Jahr. Der durchschnittliche Rohstoffkonsum der afrikanischen Länder lag im Jahr 2017 sogar nur bei 3,1 t pro Einwohner und Jahr. Alle 50 Minuten erzeugen wir z.B. allein in Deutschland 42 t Elektroschrott – also so viel, wie ein Mittelstreckenflugzeug im leeren Zustand wiegt.
Für Verbraucher außerdem oft unsichtbar, entstehen bei Rohstoffgewinnung und -aufbereitung in den Abbauländern häufig tiefgreifende Umweltschäden. Erst wenn die aus den Rohstoffen hergestellten Produkte schließlich zu Abfällen werden und in eine unsachgemäße Entsorgung gelangen, können Konsequenzen für die Verursachenden fühl- und sichtbar werden, zum Beispiel durch verunreinigtes Grundwasser. Je mehr wir so weiter machen und je mehr Ressourcen wir„verbrauchen“, desto mehr beschleunigen wir diesen Prozess.
Was wurde bisher getan?
Um den Trend des steigenden Ressourcenverbrauchs in der „Wegwerfgesellschaft“ aufzuhalten und die Umwelt mehr zu schonen, wurde bereits seit den 1970er-Jahren in Deutschland eine Abfallwirtschaft mit gesetzlichen Regelungen etabliert. Im ersten Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 ging es vor allem um Gefahrenabwehr, indem die wachsendenAbfallmengen weg von der ungeordneten Ablagerung in eine geordnete Entsorgung gelenkt werden sollten. Mit derVerabschiedung des Abfallgesetzes von 1986 wurden erstmals abfallwirtschaftliche Steuerungselemente wie der Vorrang der Vermeidung und Verwertung von Abfällen eingeführt.
Der Begriff Kreislaufwirtschaft wurde 1996 erstmals im Namen des Gesetzes verankert, jedoch nicht definiert. Das 2012 in Kraft getretene Kreislaufwirtschaftsgesetz ist das gegenwärtig gültige Gesetz. Während die Abfallgesetzgebung zunächst eher innerhalb der Nationalstaaten geregelt wurde, spielte die EU insbesondere etwa ab dem Jahr 2000 eine immer größere Rolle.
In der Abfallrahmenrichtlinie 2008 wurde eine 5 stufige Abfallhierarchie vorgestellt. Diese gibt vor, wie mit Abfall ambesten oder ehesten verfahren werden sollte.
Im Jahr 2022 angekommen, ist es jedoch offensichtlich, dass eine Abfallregelung alleine nicht ausreicht. Denn diese richtet sich hauptsächlich auf das lineare Konsumieren (Produzieren -> Nutzen -> Wegschmeißen) aus. Im Zeitalter der Kreislaufwirtschaft, kommt jedoch eine neue Hierarchie ins Spiel und somit auch eine neue Kreislaufwirtschaftshierarchie.
Der Unterschied zur Abfallhierarchie sind die beiden oberen, neuen Punkte.
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Verringerung der Stoffströme: Das bedeutet, weniger zu konsumieren, weniger Primärrohstoffe zu verwenden
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Produkte kreislauffähig gestalten: Das bedeutet, dass Produkte von Anfang an langlebig, schadstofffrei, materialeffizient, reparierbar & rezyklierbar gestaltet werden
Aber genug der Theorie. Was bedeutet denn jetzt eigentlich Kreislaufwirtschaft wirklich? Und kann das wirklichunser Dilemma lösen?
Im Gegensatz zur Linearwirtschaft werden in einer Kreislaufwirtschaft Ressourcen nicht „verbraucht“ undweggeschmissen, sondern immer wieder gebraucht. Ein Rohstoff ist, quasi so wie Wasser, immer mal in verschiedenenDaseinszuständen - mal als Produkt, mal als Rezyklat…sodass er nicht verloren geht. Außerdem werden Produkterepariert (und nicht weggeworfen), Socken werden wieder gestopft und Waschmaschinen brummen wieder.
Wie können wir die Transformation schaffen?
Um diese Transformation zu schaffen, müssen wir wieder zurück zum Lebensstandard von 1945. … Nein, natürlich ist das Quatsch. Anstatt Angst vor Rückschritt zu haben, sollten wir nach vorne schauen, denn dieser Lebensstil wird dieZukunft. Autos werden bunt aussehen, weil sie aus verschiedenen alten und wieder aufbereiteten Stücken zusammengesetzt sind, Häuser werden alle individuell sein und unsere Klamotten und damit unsere individuellste Ausdrucksweise auch. Alles wird bunter, gemischter, fröhlicher. Damit das gelingt, ist der erste Schritt, Tätigkeiten wie z.B. Reparieren wieder zugänglicher zu machen - und vor allem günstig. Was früher ganz normal war, muss heute erst wieder gelernt werden. Verhalten ändert sich, indem ähnliche Abläufe immer wieder anders gemacht werden - so z.B. der Gang zurWerkstatt, wenn etwas kaputt ist. Früher lernte man in der Schule nähen, stopfen, werken etc. Das sollte wieder stärker in den Vordergrund gestellt werden und vor allem auch mit Blick auf technische Geräte. So stehen die Menschen von morgen nicht ratlos vor ihrem Computer, wenn er nicht mehr anspringt, sondern lösen das Problem selbst mit ein paarHandgriffen.
Viele dieser Aufgaben liegen in der Hand der Politik. Mit Förderprogrammen, die z.B. junge Unternehmen unterstützen, deren Business Modelle auf Reparatur oder Verbreitung von genutzten Waren, Recyclingprodukten zielen. Mit Anreizen, die die Entsorgung von eigentlich funktionierenden Produkten erschweren wohingegen sie eine Reparatur unterstützen.Hier gibt es viele Möglichkeiten und ein paar werden auch schon genutzt, wie z.B. das Programm https://reparieren-statt-wegwerfen.de. Bald soll es sogar auch ein Recht auf Reparatur geben, dass die Garantie auf ein einwandfrei funktionierendes Produkt erhöht.
Wichtig sind auch Vorgaben zum Design von Produkten. Denn das erschwert leider oft ordentliches Recycling. Hier können auch Label wie das cradle2cradle Label helfen, die zertifizieren, dass ein Produkt so konstruiert ist, dass es ohneProbleme in den natürlichen Kreislauf zurückfließen kann. Hierunter fallen übrigens auch unsere PAPYDO Geschenkpapiere, da diese mit cradle2cradle zertifizierter Farbe bedruckt sind.
Wie kann ich selbst zu einer Kreislaufwirtschaft beitragen?
Der Übergang von einer Linear- zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert eine umfassende Transformation unsererWirtschaft, die nur dann gelingen kann, wenn sie von allen Teilen der Gesellschaft mitgetragen wird. Innovation auf allenEbenen und ein vollkommen neues Ausmaß an Kooperation und Koordination entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind gefordert: von der Rohstoffgewinnung über Produktdesign, Wiederverwendung und Recycling bis zur Verwertung, vom Geschäftsmodell bis zum Konsumentenverhalten. Die Einbindung, Information und Aufklärung aller Akteure sowie die enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft werden wesentliche Faktoreneiner erfolgreichen Umgestaltung sein. Von der lokalen bis zur europäischen Ebene wird es stärker koordinierte Ansätze brauchen. Wenn wir das Potenzial der Kreislaufwirtschaft wirklich nutzen wollen, müssen die sozialen und ökologischenAspekte dabei von Anfang an aktiv mitgedacht werden.
3 Dinge, die Du z.B. selbst tun kannst, um als Konsument zu einer Transformation unserer Wirtschaft beizutragen, sind:
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Produkte so lange wie möglich nutzen, reparieren, umbauen, weitergeben und bitte bitte nicht wegwerfen! (Gerne auch gebrauchte Sachen kaufen, wie z.B. eine schöne Kommode über ebay anstatt neu über IKEA etc.)
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Produkte kaufen, die kreislauffreundlich sind, also z.B. cradle2cradle zertifiziert oder die aus biologisch abbaubaren Stoffen bestehen (z.B. Handyhülle aus Plastik vs. aus abbaubarem Kunststoff)
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Reflektiert konsumieren (Brauche ich wirklich Fast Fashion? Brauche ich wirklich dies & jenes? Macht das mein Leben wirklich besser? Ist mir Qualität und damit Langlebigkeit nicht mehr wert? Muss ich alles immer neu kaufen?) -> Je weniger Rohstoffe wir, die Nordhalbkugel, nutzen, desto besser
Die Transformation von der Wegwerf- zu einer Ressourceneffizienten Gesellschaft wird nicht von heute auf morgengeschehen, aber gemeinsam werden wir es schaffen!